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„Paukenschlag“ – Entscheidung des BAG zur Arbeitszeiterfassung

Im Dezember letzten Jahres hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungsgründe seines Zeiterfassungsbeschlusses vom 13.09.2022 – 1 ABR 22/21 veröffentlicht, der in der Presse erhebliche Beachtung gefunden hat und als Paukenschlag tituliert wurde.

Hintergrund der Entscheidung war das Stechuhr-Urteil des EuGH vom 14.05.2019 – C–55/18, mit dem entschieden worden war, dass die Mitgliedsstaaten die Arbeitgeber verpflichten müssen, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Da durch § 16 Abs. 2 ArbZG, abgesehen von Sonderregelungen für einzelne Branchen bzw. geringfügig Beschäftigte, bislang nur eine Pflicht der Aufzeichnung der über acht Stunden hinausgehenden werktäglichen Arbeitszeit gesetzlich vorgesehen ist, war überwiegende Auffassung, dass nach dem EuGH-Urteil der deutsche Gesetzgeber nun tätig werden müsse. Drei Jahre nach dem Stechuhr-Urteil des EuGH hat das BAG nun aber mit seinem Beschluss vom 13.09.2022 festgestellt, dass Arbeitgeber in Deutschland bereits gesetzlich verpflichtet sind, die tägliche Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer systematisch zu erfassen und aufzuzeichnen. Das BAG leitet diese Pflicht nicht aus dem deutschen Arbeitszeitgesetz, sondern aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbeitsschutzG ab. Nach dieser Vorschrift muss der Arbeitgeber für eine geeignete Organisation sorgen und die erforderlichen Mittel bereitstellen, um die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu treffen. Das BAG hat insoweit völlig unerwartet eine gesetzliche Pflicht zur Arbeitszeiterfassung aus einer Generalklausel des Arbeitsschutzgesetzes abgeleitet. 

Nach dem Beschluss des BAG sind Arbeitgeber mithin ab sofort und ohne jede Umsetzungsfrist verpflichtet, die Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer aufzuzeichnen. Damit handelt es sich um eine unmittelbar geltende Compliance-Verpflichtung. Die Pflicht bezieht sich auf alle Arbeitnehmer i. S. von § 5 Abs. 1 BetrVG. Nach überwiegender Auffassung in der arbeitsrechtlichen Literatur können nur leitende Angestellte von der Zeiterfassung ausgenommen werden. Vertrauensarbeitszeit ist weiterhin möglich, erfordert aber nunmehr die Aufzeichnung der Arbeitszeiten. Das BAG hat keine Vorgaben über die Art der Arbeitszeiterfassung gemacht. Es führt ausdrücklich aus, dass diese nicht ausnahmslos und zwingend elektronisch erfolgen muss, vielmehr die Arbeitgeber die Aufzeichnung der Arbeitszeiten auch an die Arbeitnehmer delegiert werden kann. Dies gilt jedenfalls solange und soweit der Gesetzgeber die Arbeitszeiterfassungspflicht nicht anders ausgestaltet. Bei Delegation der Aufzeichnung auf die Arbeitnehmer sind regelmäßige – zumindest stichprobenhafte – Kontrollen notwendig. 

Verstöße gegen die aus § 3 Abs. 2 ArbeitsschutzG hergeleitete Pflicht zur Arbeitszeiterfassung sind derzeit nicht bußgeldbewehrt. Die zuständigen Aufsichtsbehörden können nur die Durchsetzung der Pflicht anordnen und eine entsprechende Ordnungsverfügung erlassen. 

Da in dem vom BAG entschiedenen Fall streitig war, ob dem Betriebsrat ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Systems zur Arbeitszeiterfassung zusteht, hat das BAG abschließend in seinem Beschluss festgestellt, dass ein solches Initiativrecht nicht besteht. Gleichwohl ist die Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung gemäß § 87 Nr. 1 Nr. 7 BetrVG mitbestimmungspflichtig. Nur die Einführung eines elektroni-schen Zeiterfassungssystems kann der Betriebsrat, da eine Zeiterfassung beispielsweise auch in Papierform möglich ist, nicht über eine Einigungsstelle erzwingen. 

Gemäß dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales soll der Erlass eines Gesetzes zur Arbeitszeiterfassung beabsichtigt sein. Insofern besteht bei einer kurzfristigen Änderung des betrieblichen Zeiterfassungssystems das Risiko, dass nach Inkrafttreten dieses Gesetzes gegebenenfalls erneut Änderungen veranlasst sind. 

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass das BAG bereits mit seinem Urteil vom 04.05.2022 – 5 AZR 359/21 – darauf hingewiesen hat, dass die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung keine Auswirkungen auf die nach dem deutschen materiellen und Prozessrecht entwickelten Grundsätze über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Überstundenvergütungsprozess hat. 

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Angela Koch  

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