Betrachtet man aktuelle empirische Studien, so zeigt sich deutlich, dass die Unternehmenswerte seit 2020 stark gesunken sind. Unternehmen bspw. aus der Branche Wohnungsbau haben sich im Wert halbiert. Noch schlimmer traf es das Gastrogewerbe, Hotelbetriebe, den Bereich Freizeit und Erholung oder auch Dienstleistungsbereiche des gewerblichen Bedarfs wie Werbung und Marketing oder die Personalvermittlungen. Diese Werte haben sich im betrachteten Zeitraum mehr als halbiert. Auch im Bereich Handel hat sich die Risikoeinschätzung stark verändert.
Neben der generellen wirtschaftlichen Entwicklung hat sich eben auch der Diskontierungsfaktor verändert. Nach einer mehrjährigen Niedrigzinsphase ist er wieder im Aufwärtstrend und erreichte mit 2,75 % Ende 2023 seinen vorläufigen Höhepunkt. Im Juli 2020 betrug der Basiszinssatz noch 0,0 %. Neben dem Anstieg des Basiszinssatzes veränderten sich auch die systematischen Risiken, was zu einem merklichen Anstieg der Betafaktoren führte, die für Bewertungszwecke verwendet werden müssen. Beispielsweise stieg der Betafaktor im Bereich Bau Ende 2019 von 0,8 auf 1,6 Ende 2023. Gestiegene Zinsen und gestiegene Betafaktoren im Nenner der Bewertungsformel führen zu massiven Wertveränderungen. Aber nicht nur der Nenner führt zur Verschlechterung der Werte. Auch der Zähler (Jahresüberschuss oder EBIT), welcher abgezinst werden muss, führt aufgrund negativer zukünftiger Prognosen zu einer Minderung der Unternehmenswerte.
Was bedeutet das nun für die Wahl des Bewertungsverfahrens, z. B. im Nachfolgeprozess?
Wie schon ausgeführt ist der Unternehmenseigner frei in der Wahl des Bewertungsverfahrens. In aller Regel wählt er zwischen dem vereinfachten Ertragswertverfahren, welches vom Finanzamt bevorzugt wird (§§ 199 ff. BewG), oder entscheidet sich für das Ertragswertverfahren nach IDW S1. Betrachtet man nun den Zeitablauf so wird deutlich, dass bis Ende 2019 die Eigenkapitalkosten beim vereinfachten Ertragswertverfahren höher waren als die Eigenkapitalkosten nach dem IDW S1-Verfahren. Bedeutet: Je höher die Eigenkapitalkosten umso niedriger der Unternehmenswert. Für Zwecke der Unternehmensbewertung fuhr man also mit dem Ansatz des einfachen Ertragswertverfahrens oftmals besser als wenn man den Aufwand betrieben hat nach IDW S1. Der Multiplikator im vereinfachten Ertragswertverfahren von 13,75 entspricht nämlich einem Zinssatz von 7,27 %. Die Kapitalkosten nach IDW S 1 lagen jedoch in den Jahren 2017 bis 2019 zwischen 5,08 und 6,0 %. Bedeutet: Allein aufgrund des Abzinsungsfaktors resultiert beim IDW S1-Verfahren ein höherer Unternehmenswert. 2020 jedoch drehte sich das Blatt. Im Bereich Wohnungsbau z. B. betrugen die Eigenkapitalkosten schon 9,8 %, im Jahr 2023 stiegen sie auf 14,11 %. Hier wird deutlich, dass bei Verwendung des starren Zinssatz nach Bewertungsgesetz von 7,27 % allein aus dieser Differenz der Unternehmenswert doppelt so groß ist wie der Unternehmenswert nach IDW S1. Gleiches gilt auch für die Branchen Handel, Gastgewerbe, Dienstleistungen usw.
Im Ergebnis führte bis 2019 das vereinfachte Ertragswertverfahren zum niedrigeren Wert. Ab 2020 jedoch das Ertragswertverfahren nach IDW S1. Darüber hinaus ist das vereinfachte Ertragswertverfahren auch ein vergangenheitsorientiertes Verfahren, wo nur die letzten drei IST-Jahre berücksichtigt werden. Da die Zukunft sich aber i. d. R. schlechter als die Vergangenheit entwickelt führt die Verwendung des IDW S1-Verfahrens auch dazu, dass man eine sich verschlechternde zukünftige Lage bewertungstechnisch berücksichtigen kann, sprich Steuern spart.