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Zum Haftungsprivileg für Vorstände und Geschäftsführer bei Pflichtverletzungen nach der Business Judgment Rule

Vorstände und Geschäftsführer haften gegenüber der Gesellschaft für begangene Pflichtverletzungen und den daraus entstandenen Schäden. Dies ergibt sich für Vorstände aus § 93 Abs. 2 S. 1 AktG und für Geschäftsführer aus § 43 Abs. 2 GmbHG.

Bei der Business Judgment Rule handelt es sich um ein gesetzlich verankertes Haftungsprivileg zugunsten von Vorständen und Aufsichtsräten von Aktiengesellschaften, das unter bestimmten Voraussetzungen von Gesetzes wegen eine Pflichtverletzung ausschließt.

Bei schadensauslösender Risikoverwirklichung aufgrund einer zuvor getroffenen unternehmerischen Entscheidung besteht dann keine Haftung für entstehende Schäden (§§ 93 Abs. 1 S. 2, 116 S. 1 AktG). Diese - im AktG verankerte Idee - wird ebenso auf die Situation in anderen
vergleichbaren Gesellschaften, insbesondere auch für GmbHs angewandt.

Der Gedanke der Business Judgment Rule entspringt dem US-amerikanischen Recht. Schon vor ihrer gesetzlichen Einführung über § 93 Abs. 1 S. 2 AktG im Jahr 2005 hatte der BGH (sog. ARAG-Entscheidung, BGHZ 135, 244) darauf erkannt, dass es haftungsfreie unternehmerische Handlungsspielräume (auch "safe harbour" genannt) geben muss.

Nach § 93 Abs. 1 S. 2 AktG liegt demgemäß eine Pflichtverletzung des Vorstands nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung "vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln." Ausgehend von dem Grundgedanken, dass das Eingehen geschäftlicher Risiken oft unvermeidbar ist, dies unter Umständen sogar erst den wirtschaftlichen Erfolg begründet, bietet schon die allgemeine Norm des § 93 Abs. 1 S. 1 AktG (Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters) aufgrund eines zu bewertenden Verschuldensmaßstabs zugunsten des Vorstands gewisse Ermessensspielräume (arg. § 93 Abs. 2 S. 2 AktG). § 93 Abs. 1 S. 2 AktG konkretisiert das für unternehmerische Entscheidungen.

Für einen Haftungsausschluss wird demnach verlangt, dass der Vorstand oder GmbH-Geschäftsführer eine bewusste unternehmerische Entscheidung nach verantwortlicher Risikoabwägung getroffen hat. Diese Entscheidung muss zudem handwerklich sauber zustande gekommen sein. "Dumme" (=fahrlässige) handwerkliche Fehler, die eine unternehmerische Entscheidung beeinflusst haben, führen daher nicht zum Ausschluss einer Pflichtverletzung. Das gilt z. B. dann, wenn die Entscheidung unrechtmäßig ist. 

Eine Pflichtverletzung liegt insbesondere auch dann vor, wenn der Vorstand oder Geschäftsführer entgegen der Regelungen in der Satzung oder Geschäftsordnung bei zustimmungspflichtigen Geschäften vor seiner Entscheidung bzw. Vertragsbindung nicht die vom Aufsichtsorgan (Aufsichtsrat oder Gesellschafterversammlung) erforderliche Zustimmung/Genehmigung einholt. 

Vorstand oder Geschäftsführer könnten sich in einem solchen Fall mit dem Einwand des sog. „rechtmäßigen Alternativverhaltens“ verteidigen. Hierzu argumentiert der BGH in seinem Urteil v. 10.7.2018, II ZR 24/17, u. a. mit folgenden Ansätzen: Ein Vorstand hat die Zustimmung des Aufsichtsrats grundsätzlich vor der Durchführung des Geschäfts einzuholen, wenn das so von der Satzung für bestimmte Arten von Geschäften vorgesehen ist. Die Zustimmung kann nur durch ausdrücklichen Beschluss des Aufsichtsrats erteilt werden. Sie kann nicht durch eine Entscheidung des Aufsichtsratsvorsitzenden ersetzt werden. Die Inanspruchnahme des Vorstandsmitglieds auf Schadensersatz durch eine Aktiengesellschaft wegen Pflichtverletzung ist regelmäßig nicht deshalb rechtsmissbräuchlich, weil der Alleinaktionär zuvor in das haftungsbegründende Geschäft eingewilligt hatte. Der Vorstand kann gegenüber einer Schadensersatzklage der Aktiengesellschaft, die mit dem Verstoß gegen einen zu Gunsten des Aufsichtsrats eingerichteten Zustimmungsvorbehalt begründet ist, aber einwenden, der Aufsichtsrat hätte den von ihm durchgeführten Maßnahmen zugestimmt, wenn er ihn gefragt hätte. Die Beweislast liegt dabei beim Vorstand.