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ARTIKEL

Arbeitsvertraglicher Verweis auf einen Tarifvertrag – Inhaltskontrolle durch das Arbeitsgericht

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in einer neueren Entscheidung (Urteil vom 02.07.2025 –10 AZR 162/24) deutlich gemacht, dass bei arbeitsvertraglich in Bezug genommenen tariflichen Regelungen nur dann bei Streit um die Gültigkeit der Regelung das Arbeitsgericht keine Inhaltskontrolle nach § 310 Abs. 4 Satz 3 i. V. m. § 307 Abs. 3 BGB vornehmen darf, wenn sich die Bezugnahme auf die Gesamtheit der Regelungen eines einschlägigen Tarifvertrags erstreckt. Der Sachverhalt war zusammengefasst wie folgt:

Der nicht tarifgebundene Kläger war seit April 2020 bei der Beklagten als Rettungssanitäter beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis bestimmte sich nach dem DRK-Reformtarifvertrag. In § 23 des Arbeitsvertrages hieß es u. a.: „Mitarbeiter, die bis einschließlich 31. März des Folgejahres aus eigenem Verschulden oder eigenem Wunsch aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden, sind mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses verpflichtet, die erhaltene Sonderzahlung an den Arbeitgeber zurückzuzahlen.“

Die Beklagte gewährte dem Kläger für November 2021 eine Jahressonderzahlung i. H. v. 2.767,19 € brutto. Am 19.01.2022 kündigte der Kläger das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.03.2022. In einer internen E-Mail der Bereichsleitung der Beklagten vom 19.01.2022 hieß es auszugsweise: „Herr B wäre sehr froh, wenn wir die Rückzahlung der Jahressonderzahlung auf die kommenden drei Gehälter dritteln könnten.“

Die Arbeitgeberin bestätigte die Kündigung des Klägers und kündigte nach § 23 Abs. 5 des DRK Reformtarifvertrages die Rückerstattung der Jahressonderzahlung an. Infolgedessen brachte die Beklagte von den Nettovergütungsansprüchen des Klägers für die Monate Januar und Februar 2022 jeweils 446,16 € und 446,17 € für den Monat März 2022 in Abzug. Der Kläger verlangte die Auszahlung der vorgenommenen Abzüge. Er war der Ansicht, die Voraussetzungen von § 23 Abs. 5 RTV seien nicht erfüllt, weil seine Kündigung das Arbeitsverhältnis erst mit Ablauf des 31.03.2022 beendet habe. Zudem benachteilige ihn die Rückzahlungsklausel unangemessen und sei deshalb unwirksam.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat ihr stattgegeben. Das BAG hat die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten zurückgewiesen. Dies hat das BAG wie folgt begründet: Der Kläger hat nach § 611a Abs. 2 BGB Anspruch auf Vergütung für die Monate Januar bis März 2022 in zugesprochener Höhe. Die nach Grund und Höhe unstreitig entstandenen Ansprüche des Klägers waren nicht – auch nicht teilweise – aufgrund Aufrechnung nach § 389 BGB erloschen. Die Beklagte war zu keinem Zeitpunkt Gläubigerin einer aufrechenbaren Gegenforderung. Sie hatte weder aufgrund gesonderter vertraglichen Vereinbarung noch nach § 23 Abs. 5 RTV einen Anspruch auf Rückzahlung der an den Kläger geleisteten Jahressonderzahlung. Dabei stellte das BAG unter anderem klar, dass der Kläger mit seiner
E-Mail kein wirksames Schuldanerkenntnis abgegeben hatte.

Ein Anspruch der Beklagten auf Rückzahlung der Jahressonderzahlung bestand auch nicht nach § 23 Abs. 5 RTV. Zwar waren – entgegen der Ansicht des Klägers – deren tatbestandliche Voraussetzungen erfüllt. Die Rückzahlungsklausel hielt aber einer Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB nicht stand. Sie war unangemessen benachteiligend i. S. d. § 307 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 BGB und deshalb unwirksam. Zwar unterliegen arbeitsvertraglich in Bezug genommene tarifliche Regelungen nach § 310 Abs. 4 Satz 3 i. V. m. § 307 Abs. 3 BGB keiner Inhaltskontrolle, wenn sich die Bezugnahme auf die Gesamtheit der Regelungen eines einschlägigen Tarifvertrags erstreckt. Eine beschränkte Verweisung auf einzelne Tarifnormen oder sachlich und inhaltlich zusammenhängende Regelungsbereiche oder -komplexe des Tarifvertrags führt hingegen nicht zu deren Kontrollfreiheit.

Bei einer Bezugnahme einer tarifvertraglichen Regelung muss man sich als Arbeitgeber daher darüber im Klaren sein, dass ein „Rosinenpicken“ in Form der Bezugnahme auf einzelne tarifvertragliche Regelungen letztlich dazu führt, dass diese Regelungen genau wie arbeitsvertragliche Klauseln vom Arbeitsgericht im Rahmen der Inhaltskontrolle gemäß §§ 305 ff. BGB bewertet werden können.