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HomeExpertenDr. iur. Michael Franz Schmitt

ARTIKEL

Trotz 50 % der GmbH-Anteile: Einordnung der Tätigkeit eines Gesellschafter-Geschäftsführers als nicht selbständig

Das Sozialgericht Landshut hat mit aktuellem Urteil vom 11.01.2024 - S 1 BA 23/23 entschieden, dass ein Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH, der 50 % der Anteile am Stammkapital hält, ausnahmsweise dann nicht selbständig ist, wenn dem anderen Gesellschafter bei Stimmengleichheit (Pattsituation) das Recht zusteht, im Wege eines Stichentscheides eine Entscheidung in der Gesellschafterversammlung herbei zu führen.

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iesem Urteil lag der Streit der Beteiligten im Rahmen einer sozialrechtlichen Betriebsprüfung über die Versicherungs- und Beitragspflicht des Gesellschafter-Geschäftsführers F der klagenden GmbH zugrunde. Neben F war weiterer Gesellschafter-Geschäftsführer der Z. Sowohl F als auch Z waren mit jeweils 50 % am Gesellschaftsvermögen der klagenden GmbH beteiligt. Im Gesellschaftsvertrag der klagenden GmbH wurde in § 6 „Gesellschafterbeschlüsse“ folgende Regelung getroffen:

„§ 6 Gesellschafterbeschlüsse

1. Gesellschafterbeschlüsse werden mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst. Dies gilt nicht, soweit das Gesetz zwingend oder dieser Vertrag ausdrücklich etwas anderes bestimmen.

2. Solange Z Gesellschafter der Gesellschaft ist, steht ihm als nicht übertragbares nicht vererbliches gesellschaftsrechtliches Sonderrecht bei Beschlussfassungen, die gemäß Satz 1 mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen zu fassen sind, das Recht zu, bei Stimmengleichheit (Pattsituation) mit seinem Stimmrecht im Wege eines Stichentscheides eine Entscheidung der Gesellschafterversammlung herbeizuführen.“

§ 4 des Gesellschaftsvertrages der klagenden GmbH enthält zur Vertretung und Geschäftsführung der Gesellschaft folgende Regelung:

„§ 4 Vertretung, Geschäftsführung

Mehrere Geschäftsführer fassen ihre Beschlüsse mit einfacher Mehrheit nach Köpfen. Im Fall der Stimmengleichheit steht dem jeweils dienstältesten Geschäftsführer der Stichentscheid zu.“

Nach einer sozialrechtlichen Betriebsprüfung stellte der beklagte Sozialversicherungsträger mit Bescheid fest, dass für F für den streitigen Zeitraum ein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis vorlag. Ferner wurden mit gleichem Bescheid von der klagenden GmbH Sozialversicherungsbeiträge, die Umlage U2 und die Insolvenzgeldumlage in Höhe von insgesamt rund 77.000 € nachgefordert. Begründet wurde dies damit, dass F eine vollumfängliche, alle Angelegenheiten der Gesellschaft betreffende Sperrminorität bzw. Verhinderungsmacht nicht zugestanden habe. Beschlüsse des weiteren Gesellschafter-Geschäftsführers Z hätten wegen der Stichentscheids-Klausel nicht verhindert werden können. Somit könne F keinen maßgeblichen Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft ausüben.

Das SG Landshut wies die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren eingelegte Klage ab. Es entschied, dass im Rahmen der Betriebsprüfung der beklagte Sozialversicherungsträger zurecht festgestellt habe, dass F im streitigen Zeitraum aufgrund abhängiger Beschäftigung versicherungspflichtig gewesen sei. Er habe in seiner für die klagende GmbH verrichteten Tätigkeit als im Handelsregister eingetragener GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlegen. Die erhobene Beitragsnachforderung sei deshalb zu Recht gegenüber der klagenden GmbH festgesetzt worden.

Sei ein GmbH-Geschäftsführer - wie hier - zugleich als Gesellschafter am Kapital der Gesellschaft beteiligt, sei der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft das wesentliche Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer sei damit nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbständig tätig, sondern müsse, um nicht als abhängig Beschäftigter angesehen zu werden, über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht sei grundsätzlich bei Gesellschaftern gegeben, die zumindest 50 % der Anteile am Stammkapital halten. Dagegen seien geschäftsführende Minderheitsgesellschafter grundsätzlich abhängig beschäftigt. Sie seien ausnahmsweise nur dann als Selbstständige anzusehen, wenn ihnen nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende („echte“ oder „qualifizierte“), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt sei.

Selbständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer müssten dabei also in der Lage sein, einen maßgeblichen Einfluss auf alle Gesellschafterbeschlüsse ausüben und dadurch die Ausrichtung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens umfassend mitbestimmen zu können. Ohne diese Mitbestimmungsmöglichkeit seien (Minderheits-)Gesellschafter-Geschäftsführer nicht im „eigenen“ Unternehmen tätig, sondern in weisungsgebundener (§ 37 GmbHG), funktionsgerecht dienender Weise in die GmbH als ihre Arbeitgeberin eingegliedert. Deshalb sei eine „unechte“, nur auf bestimmte Gegenstände begrenzte Sperrminorität nicht geeignet, die erforderliche Rechtsmacht zu vermitteln. Die Tätigkeit eines Geschäftsführers sei nur dann unternehmerisch, wenn er auf alle wesentlichen Grundlagenentscheidungen Einfluss nehmen könne. Nur wenn der Geschäftsführer aufgrund seiner gesellschaftsrechtlichen Stellung über die Rechtsmacht verfüge, ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung zu verhindern, scheide abhängige Beschäftigung aus.

Über solche, einem Selbständigen im eigenen Unternehmen vergleichbare Einfluss- und Mitbestimmungsmöglichkeiten verfüge F in der klagenden GmbH nicht. Grundsätzlich würden zwar bei zwei GmbH-Gesellschaftern 50 % Anteile am Stammkapital der Gesellschaft ausreichen, um statusrechtlich als selbständiger GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer eingestuft zu werden. Dies gelte jedoch nur solange, als die daraus resultierende Verhinderungsmacht nicht durch andere gesellschaftsrechtlich verankerte Stimmrechtsregelungen in der Gesellschafterversammlung wieder aufgehoben würde. Entscheidend sei, dass für die Annahme einer selbständigen Tätigkeit der Gesellschafter-Geschäftsführer die notwendige Rechtsmacht durch Gesellschaftsvertrag haben müsse, die ihn in die Lage versetze, die Geschicke der Gesellschaft zu bestimmen oder zumindest ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern zu können.

Das sei vorliegend jedoch nicht der Fall. Denn nach § 6 Nr. 2 des Gesellschaftsvertrages stehe dem Gesellschafter Z das gesellschaftsrechtlich unabdingbare Sonderrecht zu, eine Entscheidung in seinem Sinne herbeizuführen. Gegen die Wirksamkeit der Stichentscheids-Klausel bestünden keine rechtlichen Bedenken. Daraus ergebe sich, dass F eben nicht die Rechtsmacht besitze, Beschlüsse der Gesellschafterversammlung gegen den Willen des Gesellschafters, nämlich Z, zu fassen. Oder anders ausgedrückt, F stehe keine Verhinderungsmacht zu, Weisungen der Gesellschafterversammlung zu verhindern. Durch die Stichentscheids-Klausel würde ihm seine zunächst aufgrund seines 50 %-Anteils am Gesellschaftsvermögen bestehende Sperrminorität genommen. Nach alldem sei F nicht selbständig tätig, sondern abhängig beschäftigt.

Diese Entscheidung zeigt, dass durch entsprechende gesellschaftsvertragliche Regelungen selbst der GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer der gesetzlichen Sozialversicherungspflicht unterliegt, der mit 50 % am Stammkapital der GmbH beteiligt ist. Insbesondere im fortgeschrittenen Alter wollen GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer aus Kostengründen oftmals von der privaten Krankenversicherung in die gesetzliche Krankenversicherung wechseln. Sind diese am Stammkapital der GmbH mit 50 % beteiligt ist ihnen dieser Wechsel grundsätzlich nicht möglich. Wird aber dem anderen Gesellschafter bei Stimmengleichheit (Pattsituation) das Recht eingeräumt, im Wege eines Stichentscheides eine Entscheidung in der Gesellschafterversammlung herbeizuführen, dann ist ein solcher Wechsel von der privaten in die gesetzliche Krankenversicherung - falls gewünscht - möglich. Eine Reduzierung der Beteiligung des diesen Wunsch äußernden Gesellschafters ist also nicht erforderlich.